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Müggelspree zwischen Müggel- und Dämeritzsee
Nachdem wir den Müggelsee zwischen Müggelhort, auf der eine Wasserrettungsstation des Arbeiter Samariter Bundes steht, und der Insel Kelchsecke verlassen haben, kommen wir in den nächsten Abschnitt der Müggelspree. Dieser führt uns circa 4 km durch die Berliner Ortslagen Rahnsdorf, Siedlung Schönhorst, Neu Venedig und Hessenwinkel bis zum Westteil des Dämeritzsees.
Rahnsdorf und Siedlung Schönhorst
Das nördlich der Müggelspree gelegene Rahnsdorf besteht im Grunde genommen aus zwei Teilen: Rahnsdorf Mühle und Fischerdorf Rahnsdorf. Rahnsdorf Mühle liegt dicht am Müggelsee, während das Fischerdorf auf dem Wasserwege in unserer Fahrtrichtung erst ca. 1 km nach Verlassen des Müggelsees erreicht wird.
Rahnsdorf Mühle hat seinen Namen von den ehemals vorhandenen Mühlen am heutigen Fredersdorfer Mühlenfließ. Allerdings ist von Rahnsdorf Mühle bei der hier beschriebenen Umfahrt nicht viel zu sehen, denn es liegt im Wesentlichen an den „Bänken“ und jenseits der Inseln Kelchsecke, Entenwall und Dreibock zu beiden Seiten längs der Fürstenwalder Allee.
Abgesehen von einer Sägemühle und den Behausungen ihrer Betreiber war die Besiedlung von Rahnsdorf Mühle lange Zeit sehr spärlich und nahm erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts Fahrt auf, getrieben vom Drang der Berliner nach Licht, Luft und Sonne. In dem 1882 erschienenen Teil „Spreeland“ von Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ steht dazu u.a.:
«Rahnsdorf hatte, seiner schönen Lage halber, immer eine Anziehungskraft für die Residenzler, die hier, in einer zerstreuten Villenkolonie, die heiße Jahreszeit, insonderheit auch die Ferienwochen ihrer Kinder zuzubringen liebten.»
(Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Vierter Teil
Spreeland Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow
J. G. Cotta´sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin 1905)
Das Fischerdorf hat es schon vor 1375 gegeben. Seine Häuser sind in Form eines wendischen Rundlings angeordnet. Dazu heißt es in einer Beschreibung der Provinz Brandenburg aus dem Jahre 1900:
«Die Häuser bildeten eine Sackgasse … zu dem nur ein Eingang führte. Sie standen dicht beieinander, mit den Giebeln oder der schmalen Frontseite dem inneren Ringe zu. Der breite Mittelplatz, auf dem in der christlichen Zeit die Kirche erbaut wurde, diente dem Vieh zum Aufenthalt in der Nacht.»
(Helmut Lehmann unter Mitwirkung von Heinrich Jendro und Werner Zimmermann: Leben zwischen den Seen, trafo Literaturverlag Berlin 2009)
Aus noch heute zugänglichen historischen Urkunden geht hervor, dass das Fischerdorf Rahnsdorf früher tatsächlich fast ausschließlich von Fischern bewohnt war. Ihre wichtigsten Fischgründe waren der Müggelsee, die Spree und der Dämeritzsee.
Dabei standen die Rahnsdorfer Fischer in einem ständigem Kleinkrieg mit den Fischern in Köpenick. Weil jene zur Belieferung der Küche des kurfürstlichen Schlosses und zu weiteren Diensten für die Obrigkeit verpflichtet waren, hatten die Köpenicker Fischer jahrhundertelang deutlich vorteilhaftere Fischereirechte. Besonders ärgerlich für die Rahnsdorfer Fischer war, dass die Köpenicker auch vor ihrer Haustür fischen durften, denn in der Spree lockte der beste Fang. Den Rahnsdorfer Fischern hingegen war das Fischen in den Köpenicker Gewässern nicht erlaubt. Die Fehde zwischen den Rahnsdorfer und Köpenicker Fischern artete z.T. so weit aus, dass gegenseitige Überfälle mit Raub von Fischkähnen und Netzen zu beklagen waren.
«Erst durch die Unterstellung der Cöpenicker und Kietzer sowie auch der Rahnsdorfer Fischer unter die Provinzialgerichte und die Wiedereinführung des märkischen Landrechts 1814 durch die Stein - Hardenbergschen Reformen in Preußen, dem ein Jahr später ein Brandenburgisches Fischereirecht folgte, wurde den Querelen und Klagen ein Ende gesetzt, und die Rahnsdorfer konnten von den Pflichten und Rechten gegenüber dem Gutsherren einträglich leben. Die großen Seen und die Spree blieben Eigentum des Staates, und der bestimmte zu ihrer Verwaltung die Fischereibehörde und das Finanzamt. Privates Eigentum der Rahnsdorfer blieben weiterhin die Bänke, der Bauersee sowie die Zufahrten.»
(Helmut Lehmann unter Mitwirkung von Heinrich Jendro und Werner Zimmermann: Leben zwischen den Seen, trafo Literaturverlag Berlin 2009)
Heute gibt es in Rahnsdorf nur noch einen aktiven Fischereibetrieb – die Müggelseefischerei (siehe Bild 35). Am Entenwall in Rahnsdorf erweitert sich die Müggelspree für circa 500 m in den Kleinen Müggelsee – eine beliebte Badestelle mit Badestrand, die aber gern auch vom Schiff aus in Anspruch genommen wird.
In der von uns gewählten Fahrtrichtung der Großen Köpenicker Runde kommt man gleich nach dem Kleinen Müggelsee an der beliebten Ausflugsgaststätte „Neu-Helgoland“ vorbei. Die Besitzerfamilie hat trotz zweier Brände nach der Wende nicht aufgesteckt. Das Speisenangebot besteht im Kern aus guter deutscher Küche und auch das Angebot an Kuchen und Eis kann sich sehen lassen. Hinzu kommt, dass an den Wochenenden, vor allem im Herbst und Winter, bekannte Künstler auftreten. Damit ist das Lokal nicht nur in den Sommermonaten immer bestens besucht.
Unweit vom Neu-Helgoland liegt am gegenüberliegenden Ufer die Müggelseefischerei. Sie ist ähnlich beliebt, denn Familie Thamm bietet hier an den Wochenenden in der warmen Jahreszeit einen Fischimbiss an.
Eine Erwähnung muss unbedingt auch die Ruderbootfähre F24 finden, deren Anlegestelle Kruggasse unmittelbar neben der Müggelseefischerei liegt.
Die Ruderfähre verkehrt nur zwischen der Kruggasse im alten Fischerdorf Rahnsdorf und dem gegenüber liegenden Ufer (Siedlung Schönhorst), wobei der Fährmann tatsächlich seine Fahrgäste im Ruderboot per Muskelkraft transportiert. Auf der Müggelspree verkehrt auch eine solargetriebene Elektrofähre, die F23. Wie diese wird auch die Ruderbootfähre von der BVG betrieben, kann also mit den Fahrscheinen des Berliner ÖPNV genutzt werden. Als die BVG 2013 aus Kostengründen versuchte, die Ruderfähre einzustellen, entbrannte in ganz Köpenick ein Sturm der Entrüstung. Daraufhin gab die BVG klein bei – seitdem blieb uns diese Kuriosität erhalten.
Neu Venedig
Als Neu Venedig wird eine Wohn- und Wochenendhaussiedlung im Rahnsdorfer Ortsteil Hessenwinkel in Berlin bezeichnet. Sie liegt auf halbem Weg an der Müggelspree zwischen Dämeritzsee und Müggelsee und südlich der Fürstenwalder Allee. Der besondere Reiz von Neu Venedig besteht in einem deltaförmigen Geflecht von Kanälen, die an zwei Stellen mit der Müggelspree verbunden sind (vgl. Abb. 42). Fast alle Grundstücke in diesem Gebiet haben direkten Zugang zu einem der Kanäle. Die meisten dieser Wassergrundstücke haben einen Bootssteg, etliche sogar ein Bootshaus oder eine eigene Slipanlage. Zu DDR-Zeiten hatten hier viele Funktionäre der SED und Prominente ihr Wochenendgrundstück (z.B. Frank Schöbel & Aurora Lacasa).
«Die Entstehung Neu Venedigs reicht zurück in das Jahr 1890. Damals wurde das Rittergut Rahnsdorf verkauft und zusammen mit dem Gut Hessenwinkel von der Stadt Köpenick erworben. Zu den Ländereien gehörten auch die sumpfigen Spreewiesen, ein Vorflutgelände der Spree, unterhalb des Gutshauses, welche an der Fürstenwalder Allee/Ecke Kuckucksweg, rechts am Fußweg nach Neu Venedig stand. Es ist 1945 beim Einmarsch der Roten Armee durch den Bewohner angezündet worden, der in den Flammen seine Familie und sich selbst erschoss.
Im Jahre 1925 wurde vom Bauamt Köpenick ein Bebauungsplan für einen Teil der Spreewiesen erstellt, um den Berliner Wassersportlern ein Siedlungsgebiet mit Kanalanbindung an der Müggelspree zu schaffen. Ab 1926 wurden die feuchten Wiesen durch Kanäle entwässert. Man nannte das Gebiet anfangs “Neu-Kamerun“. Es entstanden fünf Kilometer Kanäle, die sechs Inseln umfließen. Über die Kanäle wurden Holzbrücken, auch bogenförmige, errichtet. Im Verlauf der Arbeiten ist der Name „Neu Venedig“ offiziell eingeführt worden.
Ab 1928 wurde die „Neu-Rahnsdorfer Terrain Actiengesellschaft“ mit Parzellierung und Verkauf der Wassergrundstücke beauftragt. Es entstanden 374 Wassergrundstücke zwischen Fürstenwalder Allee und Müggelspree, die fast alle in Privatbesitz sind. Von 1933 bis 1935 wurden die sumpfigen Wege von Neu Venedig mit den Aushub des Gosener Kanals, der 1936 fertiggestellt wurde, mittels einer Lorenbahn um fast einen Meter erhöht. Als Brücke über die Spree für die Lorenbahn diente übrigens die alte Jannowitzbrücke, die hierher auf Schiffen transportiert worden war. Die Wassergrundstücke wurden ab 600 Quadratmeter Grundfläche für einen Preis ab 3,50 Reichsmark je m² verkauft. In der Mitte der Insel Elsterweg/Lerchenweg entstand 1960 eine Kleingartenanlage mit 21 Grundstücken ohne Kanalanbindung auf Grund und Boden des Landes Berlin. Heute überspannen das fünf Kilometer lange Kanalsystem von Neu Venedig zehn Auto- und drei Fußgängerbrücken.»
(Quelle: Internetseite Neu Venedig)
Die Kanäle in Neu Venedig sind im Mittel nur ca. 50 cm tief und frieren daher auch bei kurzen Frostperioden soweit zu, dass das Eis trägt. Letztmalig war das 2021 der Fall. Zu diesem Zeitpunkt waren alle Bürger noch den Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie unterworfen, da war ein Spaziergang auf dem Eis – ohne die lästige Maske – hoch willkommen! Da alle Grundstücke in Neu Venedig Wasserzugang haben, sind sie auch heute heiß begehrt. Der Bodenrichtwert beläuft sich aktuell (2022) auf 500 €/m² am Rand und 600 €/m² im Zentrum von Neu Venedig – und das, obwohl die Grundstücke in diesem Gebiet bisher keinen Anschluss an die Schmutzwasserkanalisation der Berliner Wasserbetriebe haben.
Hessenwinkel
Nachdem wir Neu Venedig – in unserer Fahrtrichtung auf der linken Seite – und die letzten Bungalows der Siedlung Schönhorst – auf der rechten Seite – passiert haben, erreichen wir Hessenwinkel.
Die Bebauung von Hessenwinkel liegt größtenteils linkerhand der Müggelspree, lediglich die sogenannte „Insel“ liegt in unserer Fahrtrichtung rechts. Die „Insel“ entstand mit dem Bau des Spreekanals, der 1880 fertiggestellt wurde. Damit wurde die bis dahin beschwerliche Einfahrt der Schiffe in die Spree am „Dämeritzer Loch“ beseitigt. Die „Insel“ war lange Jahre nur mit dem Kahn zu erreichen. Das änderte sich mit dem Bau der Triglawbrücke 1912. Die Triglawbrücke ist eine 52,20 Meter lange Stahl-Brücke in Fachwerk-Bauweise. Die Brücke wurde im Jahr 2000 umfangreich saniert und ist heute tragfähig für bis zu 30 Tonnen. Sie ist nach Triglaw, der höchsten Gottheit der Polen, Sorben und Wenden, benannt.
Im größeren Stil begann die Ansiedlung in Hessenwinkel erst Ende des 19. Jahrhunderts, wobei meist Villen oder Einfamilienhäuser errichtet wurden.
«Die Bauherren, vorwiegend Unternehmer, Geschäftsleute, Künstler und höhere Beamte, stammten größtenteils aus Berlin. Sie bevorzugten das private Renommé. Viele fuhren mit ihrem Auto zur Arbeitsstelle.»
(Helmut Lehmann unter Mitwirkung von Heinrich Jendro und Werner Zimmermann: Leben zwischen den Seen, trafo Literaturverlag Berlin 2009)
Initiiert wurde die Besiedlung durch eine 1891 gegründete „Terraingesellschaft“. Sie erwarb mit dem vormaligen Gut Hessenwinkel ein – nach heutigen Maßstäben – riesiges Grundstück, das nach Parzellierung in Grundstücksgrößen von einigen tausend Quadratmetern veräußert wurde.
Die Terraingesellschaft errichtete auch das sog. Gesellschaftshaus Hessenwinkel, auf dessen Grund und Boden heute das Dämeritzseehotel steht.
Ende Juli 1904 schrieb Rosa Luxemburg in einem ihrer Briefe aus Hessenwinkel über diese Gegend:
«Übrigens … ist es hier wundervoll: Wald stundenlang, Seen … und idyllische Ruhe. Die Vorzüge dieser Umgebung sind mir auch schon allmählich in die Seele gedrungen…
Denken Sie sich mich überhaupt hier in einer Art Paradies vor der Vertreibung Adams with family: ich begegne auf Schritt und Tritt allerlei Tieren, die ich sonst nur im Zoo durch ein Gitter sah…»
(Rosa Luxemburg: Briefe an Karl und Luise Kautsky (1896 bis 1918), Hrsg. von Luise Kautsky)
Zu jener Zeit standen in Hessenwinkel nur wenige Villen, vorrangig am Dämeritzsee. Inzwischen hat sich Hessenwinkel deutlich gemausert und „dank“ BER ist es auch mit der idyllischen Ruhe nicht mehr weit her. Geblieben sind jedoch viel Wald und Wasser und „allerlei Tiere“, wobei mit den Waschbären sogar eine neue Spezies hinzugekommen ist…